Erkrankungen wie die Kalkschulter oder das Impingementsyndrom sind heute weitreichend bekannt. Ganz im Gegensatz zum Wissen über die verschiedenen Erkrankungen der langen Bizepssehne. Das detaillierte Wissen um die verschiedenen Pathologien und vor allem die unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten ist selbst bei vielen Ärzten kaum verbreitet.
Eine Ursache mag sein, dass Veränderungen der langen Bizepssehne nur sehr schwer mit unseren modernen bildgebenden Verfahren darzustellen sind. Weder im Röntgenbild, noch im Ultraschall oder in der Computer Tomographie sieht man sie zuverlässig. Selbst in der Kernspintomographie, die allgemein immer wieder als das „non plus Ultra“ der Diagnostik gefeiert wird, sind die einzelnen Erkrankungen nicht sicher zu diagnostizieren.
Zu Recht handelt es sich bei den Erkrankungen der langen Bizepssehne, zu den am häufigsten übersehenen Diagnosen. Nicht um sonst spricht man aus diesem Grund auch von der „versteckten Diagnose“.
Umso wichtiger ist in solchen Fällen eine große Erfahrung des Arztes mit diesen Krankheitsbildern. Nur so gelangt man auf die richtige Spur und denkt auch an diese „versteckten“ Diagnosen. Über eine genaue Anamnese und spezielle Untersuchungstechniken kann sich ein erster Verdacht erhärten. Auch die weitere Diagnostik stellt an den Untersucher ein hohes Maß an Erfahrung und Fachkompetenz. Durch die dynamische hochauflösende Ultraschalluntersuchung können Instabilitäten der langen Bizepssehne dargestellt werden. Des Weiteren ermöglicht ein Arthro-MRT, bei dem ein magnetisches Kontrastmittel unmittelbar in die Schulter gespritzt wird, eine verbesserte Darstellung des Gelenkbinnenraumes und vor allem auch der langen Bizepssehne in der Kernspintomographie.
Der Bizepsmuskel hat zwei sehnige Ursprünge. Die lange Sehne hat ihren Ursprung am oberen Pfannenrand und der dort befindlichen Knorpellippe, dem Labrum glenoidale. Die kurze Bizepssehne entspringt dem Processus coracoideus, der auch Rabenschnabelfortsatz genannt wird.
Die lange Bizepssehne zieht vom oberen Pfannenrand quer durch das Schultergelenk hindurch und über den Oberarmkopf hinweg.
Vorne am Oberarmkopf befindet sich eine kleine Rinne, die auch Sulcus intertubercularis genannt wird. An dieser Stelle biegt die Sehne um 90° nach unten um und läuft dann in dem vorgenannten Kanal, an der Vorderseite der Schulter nach unten. Erst unterhalb des Kanals geht die Sehne dann in den Muskel über.
Durch den langen Verlauf innerhalb des Gelenks und die starke Biegung beim Übertritt in den Sulcus intertubercularis, ist die lange Bizepssehne großen mechanischen Belastungen ausgesetzt. Dies führt nicht selten zu einem vorzeitigem Verschleiß oder bei Überlastung zu lokalen Entzündungen der Sehne. Neben Entzündungen spielen vor allem die verschleißbedingten teil- oder vollständigen Risse eine große Rolle.
Um zu verhindern, dass die gesunde Sehne bei den verschiedenen Bewegungen des Arms aus dem Kanal des Sulcus intertubercularis herausspringen kann, wird sie durch eine zirkulär um die Sehne laufende Bandstruktur, dem sogenannten Pulley-System gehalten. Auch hier können Verschleiß und Verletzungen zu Beschwerden führen. Insbesondere die Pulley-Läsionen, mit einer daraus resultierenden Instabilität der langen Bizepssehne, führen nicht selten zu einem langen Leidensweg der Patienten, da die Pathologie leicht übersehen wird.
Pathologien im Ursprungbereich der langen Bizepssehne, führen oftmals zu einer Mitbeteiligung der oberen Gelenklippe (Labrum glenoidale). Sie werden unter den sogenannten SLAP-Läsionen zusammengefasst.
Gefährdet für Läsionen der langen Bizepssehne und dem Halteapparat sind vor allem die Überkopfsportler wie Speerwerfer, Tennis-, Basketball- oder Handballspieler. Aber auch bei Menschen, die beruflich häufig Überkopfarbeiten ausführen müssen, wie z. B. Maler oder Verputzer, kann das Pulley-System und die Sehne frühzeitig verschleißen. Solche Veränderungen machen sich durch einen Kraftverlust und Schmerzen bemerkbar.
Bei größerer Krafteinwirkung kommt es nicht selten dazu, dass eine vorgeschädigte lange Bizepssehne plötzlich abreißt. Da die Sehne dann herunterrutscht, zieht sich der Muskel am Oberarm zusammen. Dies bewirkt ein deutliches hervortreten des Muskelbauches. Man spricht bei diesem Phänomen auch vom so genannten Popeye-Sign. Diese Situation ist meist nur optisch anfänglich ein Problem. Im Laufe der Zeit wird die sichtbare Schwellung weniger. Ein merklicher Kraftverlust ergibt sich meist nicht, so dass die Therapie des akuten langen Bizepssehnenrisses aus zuwarten besteht.
Verletzungen des Pulley, des Ansatzes und Entzündungen im Bereich der langen Bizepssehne äußern sich häufig durch Schmerzen am vorderen Oberarm. Nicht selten sind die Beschwerden sehr hartnäckig, so dass in der Regel trotz aller Therapien die Schmerzen nicht verschwinden. Unerkannte Läsionen der langen Bizepssehne sind der häufigste Grund für eine erfolglose Therapie bei Schulterschmerzen.
Tragischer Weise werden solche Patienten oftmals nach frustraner Therapie einer Operation zugeführt. „Aus Mangel an Beweisen“ oder aus Verlegenheit lautet die Operationsdiagnose dann meistens chronisches Impingementsyndrom. Der Sorgfalt des Operateurs obliegt es in diesen Fällen während der Operation die korrekte Diagnose zu stellen und die wahre Pathologie bei der Operation zu behandeln. Ansonsten ist der Misserfolg einer solchen Operation leider vorprogrammiert.
Steht erst mal die korrekte die Diagnose einer Erkrankung der langen Bizepssehne, kann versucht werden über Krankengymnastik, Tabletten und eventuell eine oder zwei Injektionen die Beschwerden in den Griff zu bekommen. Länger als insgesamt etwa drei Monate sollte man aber nicht zuwarten. Oftmals sind strukturelle Schäden der Sehne oder die im Rahmen von Pulley-Läsionen auftretende Instabilität verantwortlich für die Beschwerden. Leider bleibt in diesen Fällen die konservative Therapie meist den Erfolg schuldig, so dass weiteres Zuwarten aussichtslos und für die Patienten häufig frustran endet. Aus diesem Grund sollte eher frühzeitig eine operative Sanierung in Betracht gezogen werden. Insbesondere wenn durch die Instabilität der langen Bizepssehne die benachbarten Sehnen des Subscapularis oder Supraspinatus gereizt bzw. sogar geschädigt werden ist es höchste Zeit, die Indikation zur operativen Versorgung zu stellen. Ansonsten besteht die Gefahr eines schwerwiegenden weiteren Sehnenrisses.
Das operative Vorgehen hängt in jedem einzelnen Fall von der vorliegenden Schädigung ab. Detaillierte Informationen zu den verschiedenen operativen Möglichkeiten finden Sie in den einzelnen Unterrubriken Pulley-Läsion und SLAP-Läsion.